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Nachrüstung und Retrofitting für Predictive Maintenance: “Steigende Energieeffizienz, sinkender Material- und Ressourcenverbrauch”

Von Tino Böhler, Dresden

Die Möglichkeit zu Predictive Maintenance ist ein Vorteil moderner, vernetzter Maschinen und Anlagen, der für Industrie 4.0 eine wichtige Rolle spielt. Es geht dabei um die intelligente und vorrausschauende Überwachung von Maschinenzuständen, um ungeplante Stillstandzeiten zu verhindern. Daher sollten ältere Modelle, die (noch) nicht für Predictive Maintenance ausgerüstet sind, nicht ausgetauscht werden. Vielmehr sollten Unternehmen auf entsprechende Nachrüstungen und Retrofitting setzen.

Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung, wird schon seit Jahren in der produzierenden Industrie als Sternchenthema erkannt und als unabdingbare Voraussetzung für zukünftigen und nachhaltigen Erfolg im Service gesehen. Es sind deutliche und schnelle Entwicklungsfortschritte im Bereich der dafür notwendigen Technologien auszumachen, jedoch bestehen noch Defizite bei der systematischen Überführung von Daten in (Kunden-)Nutzen sowie der Umsetzung in konkrete Geschäftsmodelle. So steht es schon in einem Papier des VDMA aus dem Jahre 2017 mit dem Titel ‚Predictive Maintenance: Service der Zukunft – und wo er wirklich steht’. Doch wo steht der ‚Service der Zukunft’ heute, sechs Jahre später? Es bestehen bei Experten und der Fertigungsindustrie auch heute keine Zweifel, wie wichtig Predictive Maintenance als Erfolgsfaktor, Chance und Notwendigkeit für das Geschäft von heute und von morgen ist.

Von Condition Monitoring zu Predictive Maintenance

Wer heute Prozessketten und Wartungsvorgänge effizient gestalten und entwickeln möchte, kommt an Digitalisierung und Vernetzung von Anlagen, Maschinen und IT nicht mehr vorbei, dazu Manuel Bitzer, Chief Technology Officer Compacer: „Heterogene Produktionslandschaften, Losgröße 1 und Predictive Maintenance sind nach wie vor große Themen. Diese können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Maschinen digitalisiert sind.“ Dabei gehe es nicht darum, eine Maschine komplett und mit viel Aufwand, kosten- und zeitintensiv umzurüsten. Meist reichten eine handvoll Sensoren und eine ‚clevere’ Software aus, um die wichtigsten Daten zu erheben und auszuwerten. „Diese Daten sind beispielsweise für Produktionsstraßen, etwa bei der PU-Fertigung wichtig“. Von einem etablierten Condition Monitoring zu einem vollwertigen Predictive Maintenance ist es dann nicht mehr weit, denn wenn man die Daten erst einmal hat, „ist die Erkennung einer Anomalie und Behebung der logische nächste Schritt – und dabei helfen die Möglichkeiten in der IT mit modernen Frameworks“ (Bitzer). „Digitalisierung und Vernetzung sollten aber nicht im Vordergrund stehen. Wichtig sollte es sein, die Prozesse im Unternehmen zu verstehen und entsprechende Lösungen zu entwickeln“, schränkt Heinz-Joachim Schulte, Geschäftsführender Inhaber OEE-Institute ein. Für Schulte sind Digitalisierung und Vernetzung Werkzeuge wie Hammer und Schraubenzieher. „Richtig eingesetzt sind sie sehr wertvoll und effektiv. Digitalisierung und Vernetzung lösen keine Probleme, sie sind Werkzeuge zur Problemlösung“, so der Heinz-Joachim Schulte.

Technische und logistische Herausforderungen meistern

Die ‚Vorausschauende Wartung’ ist also ein vielversprechender Anwendungsfall im Bereich ‚Digitalisierung und Vernetzung’. Bei der Umsetzung sind allerdings einige Rahmenbedingungen zu beachten. „Die wichtigste Voraussetzung ist ein homogener Maschinenpark“, sagt Moritz Dierberger, Business Development Manager, Bechtle IT-Systemhaus Rottenburg. Um Vorhersagen über mögliche Maschinenausfälle zu treffen, ist aber eine gewisse Menge an Daten erforderlich. „Diese kommen idealerweise von vielen baugleichen Maschinen. Denn aus den Telemetriedaten einer Kaffeemaschine lassen sich auch keine Rückschlüsse auf den Wartungszyklus einer Spülmaschine treffen“, so Dierberger weiter.

Um nun bestehende Maschinen für die vorausschauende Wartung aufzurüsten, müssen technische und logistische Herausforderungen gemeistert werden. „Dazu gehören die Installation von Sensoren, Datenübertragung und -analyse, die Integration in IT-Systeme und Anpassungen im Produktionsalltag“, erläutert Professor Dr. Constantin May, Ansbach University of Applied Sciences. Mitarbeiter müssen auch geschult werden, um neue Technologien und Daten effektiv zu nutzen. Trotz der Herausforderungen kann eine erfolgreiche Implementierung zu Kosteneinsparungen, verbessertem Anlagenzustand und gesteigerter Effizienz führen. Mit der Nachrüstung auf Maschinenebene kann das Unternehmen also Defizite der älteren Maschinen und Anlagen eliminieren, so dass der permanente Datenaustausch mit dem Steuerungssystem zur Gewährleistung der Predictive Maintenance bei den Bestandsmaschinen genauso funktioniert wie bei ‚moderneren’ Maschinen.

„Mit wenigen Sensoren und etwas zusätzlicher Hardware viel erreichen“

Am Markt gibt es viele Hersteller mit spezieller Software, Extra-Hardware oder Sensorik, wie etwa das Unternehmen Hilscher. Der Automationsspezialist bietet mit sensorEDGE eine IO-Link-Lösung zur Sensordaten-Übermittlung zu fernen IoT-Applikationen. Wie es nun mit den Kosten für eine Nachrüstung ausschaut, weiß Compacer-CTO Bitzer: „Bei einer teuren Maschine stehen die Nachrüstkosten in keinem Verhältnis zu einer neuen Maschine. Meist lässt sich mit wenig viel bewirken. Die Herausforderung dabei ist zu planen, was erreicht werden soll. Nachrüsten um des Nachrüstens Willen bringt nichts.“ Fragen wie ‚Was soll alles im Predictive-Maintenance-Konzept abgebildet werden?’, ‚Welche Maschinenkomponenten sind die wichtigen?’ und ‚Welche Komponenten sind teuer und benötigen Bestellzeit beim Hersteller?’ müssen dazu beantwortet werden. Für Bitzer sind das die Komponenten, die überwacht werden müssen. „Und da lässt sich mit wenigen Sensoren und etwas zusätzlicher Hardware schon viel erreichen. Aus technischer Sicht muss man eventuell auf externes Know-how zurückgreifen, etwa wenn eine Sensorik installiert oder die Daten ins Netzwerk integriert werden müssen. Und das Alles muss auch im Fertigungsalltag eingeplant werden.“

„Retrofit ist mehr als nur Sensorik zu installieren“

Für IT-Dienstleister Bechtle lohnt sich in diesem Kontext der Blick auf die Architektur des Industrial Internet of Things (IIoT). Diese besteht aus der Geschäftsebene (Business Layer), der Ebene der betriebswirtschaftlichen Betrachtung. (Make Money or Safe Money), der Anwendungsebene (Application Layer), der Dienstebene (Middleware Layer), der Netzwerkebene (Network Layer) sowie der Aufnahme-Ebene (Perception Layer). Dazu Moritz Dierberger: „Beim Retrofit bewegt man sich innerhalb der fünften Ebene, denn Maschinen, die nicht im Stande sind, Daten zu senden, sollen so nachgerüstet werden, dass sie dazu in der Lage sind. Wichtig ist aber, immer alle Ebenen im Blick zu haben. Denn sämtliche Ebenen bauen aufeinander auf und müssen technologisch aufeinander abgestimmt sein.“ Für Dierberger besteht ein ‚Retrofit’ nicht einfach nur darin, Sensorik an eine Bestandsmaschine zu installieren, „sondern in der Integration in die Systemlandschaft eines Unternehmens über alle fünf IIoT-Layer“. Auch für Constantin May umfassen Retrofit-Konzepte für Predictive Maintenance verschiedene Aspekte. Dazu zählen Sensornachrüstung, Konnektivitätslösungen, Datenspeicherung und -analyse sowie Systemintegration. „Die Strategien können von einer schrittweisen Integration, bei der einzelne Maschinen oder Anlagen nach und nach aufgerüstet werden, bis hin zu modularen Lösungen reichen, die eine einfache Skalierbarkeit und Flexibilität ermöglichen“, so May.

Nachrüstung von Bestandsmaschinen für Predictive Maintenance erfordert also die Expertise aus verschiedenen Bereichen. Sensoren- und Messtechnikhersteller bieten geeignete Sensoren. Automatisierungs- und Steuerungstechnikhersteller unterstützen bei Vernetzung und Integration. Software- und Datenanalyseunternehmen bieten Analyseplattformen und Vorhersagemodelle. Systemintegratoren und Ingenieurbüros integrieren Lösungen in bestehende Fertigungslandschaften und IoT- und Cloud-Plattformanbieter ermöglichen IoT-Lösungen und Cloud-basierte Systeme. Beratungsunternehmen schließlich unterstützen bei Planung, Change Management und Prozessoptimierung. Wichtig für Professor May ist dabei: „Die Zusammenarbeit zwischen den Partnern ist entscheidend für eine effiziente Implementierung und optimale Integration in den Fertigungsalltag.“

Nachrüstungen schonen Ressourcen und verlängern Lebensdauer

Neben der rein produktionstechnischen Komponenten spielt aber auch der immer wichtiger werdende Aspekt der Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle beim Thema ‚Retrofit von Maschinen’. Durch Nachrüstungen werden Ressourcen geschont, da vorhandene Maschinen und Anlagen aufgewertet und ihre Lebensdauer verlängert werden, statt sie durch neue zu ersetzen. Dies reduziert den Bedarf an Rohstoffen und Energie für die Herstellung neuer Maschinen. Dazu nochmals Constantin May: „Ebenso führt die Implementierung von Predictive Maintenance zu einer effizienteren Nutzung von Maschinen und Anlagen. Letztlich steigt die Energieeffizienz und der Material- und Ressourcenverbrauch sinkt.“ Insgesamt trage die Nachrüstung von Maschinen zur Nachhaltigkeit bei, indem sie die Umweltauswirkungen von Fertigungsprozessen reduziere und die Lebensdauer vorhandener Anlagen verlängere. „Darüber hinaus unterstützt Retrofitting Unternehmen dabei, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und einen verantwortungsvolleren Umgang mit natürlichen Ressourcen zu fördern.“

„Predictive Maintenance ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen“

Der japanische Autogigant Toyota hatte in den 60er Jahren bestimmt nicht viel am Hut mit Nachhaltigkeit, doch der von Toyota entwickelte Ansatz der ‚Total Productive Maintenance’ (TPM) war bestimmt ein erster Schritt zu effizienteren Nutzung von Maschinen und Anlagen und damit zu einem sorgsamen Umgang mit Ressourcen. So ist TPM ein ganzheitlicher Ansatz, der darauf abzielt, die Gesamteffizienz von Fertigungsanlagen zu verbessern, indem die Instandhaltung in die Verantwortung aller Mitarbeiter einbezogen wird. Im Kontext von Retrofit und Predictive Maintenance kann TPM die modernen Technologien und Konzepte ergänzen, indem es den Schwerpunkt auf kontinuierliche Verbesserung und Zusammenarbeit legt. „Insgesamt bietet TPM eine solide Grundlage für die erfolgreiche Implementierung von Retrofit- und Predictive-Maintenance-Konzepten, indem es die organisatorischen und kulturellen Aspekte der Instandhaltung berücksichtigt und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Abteilungen fördert“, schlägt Professor May von der Ansbach University of Applied Sciences die Brücke von gestern zu heute. „Unternehmen, die den Toyota-Weg konsequent gehen, gehören oft zu den Weltmarktführern ihrer Branche“, berichtet OEE-Experte Schulte. “Predictive Maintenance ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, die diese Unternehmen auf das Siegertreppchen bringt.“

Bevor eine Maschine nachgerüstet wird, empfiehlt es sich, zunächst eine OEE-Messung mit gleichzeitiger Stillstandsanalyse durchzuführen. Diese ist relativ schnell durchführbar und benötigt von einer Maschine nur sehr wenige Signale, die über eine Kontaktabfrage erfasst werden. Im Bild zu sehen ist Heinz-Joachim Schulte mit Arbeiter eines chinesischen Unternehmens bei einem Vorort-Einsatz. Bild: OEE-Institute

Heinz-Joachim Schulte, Geschäftsführender Inhaber OEE-Institute

Manuel Bitzer, Chief Technology Officer Compacer

Professor Dr. Constantin May, Ansbach University of Applied Sciences

Moritz Dierberger, Business Development Manager Bechtle IT-Systemhaus Rottenburg

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