Fachkräftemangel regiert weiterhin den Arbeitsmarkt – Viele offene Stellen auch bei der Instandhaltung
Nie wurden im Maschinenbau so viele offene Stellen ausgeschrieben wie im Jahr 2022. Fast 70 Prozent der Stellen zielten dabei auf Fachkräfte ab. Im Durchschnitt waren über die Bundesagentur für Arbeit rund 12.000 offene Stellen für Fachkräfte ausgeschrieben. Allein im Bereich ‚Instandhaltung’ lag die Anzahl der offenen Stellen im Durchschnitt bei 343. Das ist das höchste Niveau innerhalb der letzten 15 Jahre. Nach Angaben des VDMA blickt die Mehrheit der Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau – trotz vieler Unsicherheitsfaktoren – verhalten optimistisch auf das Jahr 2023. In Anbetracht gut ausgelasteter Kapazitäten und positiver Geschäftserwartungen möchten 60 Prozent der Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau im laufenden Jahr die Stammbelegschaften ausweiten. Der geplante Beschäftigtenaufbau gestaltet sich aufgrund des Fachkräftemangels jedoch schwierig. Drei von vier Unternehmen melden merkliche oder gravierende Engpässe bei den Fachkräften.
„Schwierigkeiten bei Stellenbesetzung in der Instandhaltung“
Dazu kommt, dass in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der Generation ‚Baby-Boomer’ in Pension gehen. Bis 2035 fehlen nach Angaben des ‚Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung’ sieben Millionen Fachkräfte in Deutschland. Nicht nur der VDMA nennt diesen Fachkräftemangel als das größte Problem des deutschen Arbeitsmarktes. Dr. Ing. Tolgay Ungan, CEO and Founder der endiio Engineering GmbH, kennt die Problematik gerade aus dem Bereich der Instandhaltung: „Wir spüren den Fachkräftemangel nur indirekt bei unseren Kunden in der Papierindustrie, die große Schwierigkeiten haben Stellen in der Instandhaltung zu besetzen und den Nachwuchs in erforderliche Anzahl für die Aufgaben nicht begeistern können. Dabei sind die Aufgaben in der Instandhaltung vielseitig und mit dem Einzug von digitalen Lösungen in der Instandhaltung interdisziplinär.“ Lukas Morys, M.Sc., Vorstandsvorsitzender Scable, kann dies nur bestätigen: „In Gesprächen mit Führungskräften in den Fabriken Deutschlands wird deutlich: Es ist nicht allein der Mangel an Fachkräften. In vielen Betrieben fehlen genauso Führungs- und Arbeitskräfte. Mein Eindruck ist: der generelle Personalmangel ist das größte Problem der Industrie.“
„Junge Leute kaum in Kontakt mit industrieller Produktion“
Damit bleibt die Lage bei den Beschäftigten also weiter angespannt. „Wir haben es hier – nicht nur im Maschinenbau und nicht nur in Europa – mit einem tiefgreifenden strukturellen Wandel zu tun, der ein hohes Maß an Flexibilität und einen effizienten Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfordert”, sagt VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers. Denn dass sich diese Engpässe in absehbarer Zeit entschärfen, erwarten die wenigsten. Mehr noch: Das Thema ‚Fachkräftemangel/Demografie’ wird unter neun zentralen Herausforderungen des Maschinen- und Anlagenbaus der kommenden Jahre als die größte eingestuft. Professor Dr. Lennart Brumby, Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, Studiengangsleiter Service Engineering, sieht Gründe für den akuten Fachkräftemangel in geringerer Nachfrage bei Ausbildung und Studium: „Ich denke, es gibt kaum eine seriöse Person, die den aktuellen und insbesondere den zukünftigen Fachkräftemangel bezweifelt. Dieser Fachkräftemangel betrifft sowohl das Handwerk und den gewerblichen Bereich wie auch viele akademische Bereiche insbesondere in den MINT-Fächern. In vielen Ingenieurs-Studiengängen sehen wir an unserer Hochschule schon heute nicht besetzte Studienplätze.“ Bestätigt wird dies durch Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Demnach ist die MINT-Lücke nach einem coronabedingten Rückgang im Jahr 2020 in den letzten zwei Jahren wieder deutlich angestiegen und zeigt hohe Engpässe auf. Im Oktober 2022 lagen in den MINT-Berufen insgesamt rund 502.200 zu besetzende Stellen vor.
Tilman Eberle, Director Marketing Communications der ANYbotics AG ergänzt: “Junge Leute vor der Ausbildungs- und Berufswahl kommen mit Berufsbildern aus der industriellen Produktion kaum in Kontakt – und diese genießen geringe Popularität.“ Das scheint auch auf den Bereich der industriellen Instandhaltung zuzutreffen. Laut VDMA lag 2022 beim Berufsbild, Technische Servicekraft Wartung, Instandhaltung’ die Anzahl der offenen Stellen im Durchschnitt bei 343. Das entspricht 38 Prozent mehr als im Vorjahr und 8 Prozent mehr als 2019. Dass gerade dieser Bereich vom Mangel an Spezialisten betroffen ist, verwundert Professor Bumbry aber nicht: „In der Tat eine dramatische Entwicklung. Zum allgemeinen Trend des Fachkräftemangels kommt hier verschärfend das eher negative Image der Instandhaltung zum Tragen, das immer noch mit Arbeiten im Öl und Fett verbunden wird. Dass dieses Bild heute für viele Arbeitsplätze der Instandhaltung gar nicht mehr zutrifft, ist leider vielen jungen Menschen noch nicht bekannt. Da stehen Ausbildungen mit dem Schwerpunkt auf digitale Inhalte im Vordergrund.“
Image-Problem bei Jobs in der Instandhaltung
Abhilfe schaffen könnten etwa Marketing-Aktionen und -Maßnahmen der Unternehmen und Branchenverbände, dazu ANYbotics-Mann Eberle: „Firmen und Verbände können die Berufsbilder stärker und positiver in die Wahrnehmung potentieller, junger Arbeitnehmer bringen. Zum Beispiel über digitale Kanäle.“ Es gäbe hier wunderschöne Beispiele von Firmen, die auf Instagram oder TikTok sehr sympathische und persönliche Kampagnen machten. „Das Image muss statt staubig und alt, modern, digital, positiv, und sympathisch sein und eine Zukunftsperspektive vermitteln.“ Nicht zuletzt durch Präsentation neuer, innovativer Technologien. Einen fast schon gesellschaftspolitischen Ansatz für das negative Image der Jobs in Wartung und Instandhaltung bringt Professor Dr. Lennart Brumby ins Spiel: „Ich vermisse eine breit angelegte Imagekampagne für die Berufsbilder in der Instandhaltung und im technischen Service. Und insgesamt gibt es in unserer Gesellschaft leider nur eine geringe Wertschätzung von Reparaturen und Instandhaltung. Wenn etwas kaputt ist, werfen wir es lieber weg als es zu reparieren. So erfahren es schon Kinder bei ihren Spielsachen. Wie sollen Sie dann später die Instandhaltung wertschätzen und als Beruf wählen?“
Um die Industrieberufe – wieder – attraktiv zu machen, brauche es zudem unbürokratische Abläufe und moderne Strukturen, wie Scable-CEO Morys meint: „Ein gutes Beispiel dazu ist die Vielzahl an Papierzetteln und Whiteboards, die heute noch in Fabriken vorzufinden sind.” Diese stehen sinnbildlich für komplizierte Abläufe und Ineffizienzen. „Generell erlebe man in den Fabriken einen enormen Unterschied in der Anwenderfreundlichkeit, wenn man Prozesse in der Fabrik mit den Apps auf unseren privaten Smartphones vergleiche. Ich empfehle hier, die Anwenderfreundlichkeit für Werker:innen und Führungskräfte konsequent in den Mittelpunkt zu stellen.“ Wenn man Abläufe vereinfache, könnten sich die Mitarbeitenden in der Fabrik auf Wertschöpfung und deren Verbesserung konzentrieren.
Königsweg Digitalisierung
Für Tolgay Ungan kann der Königsweg nur heißen: „Digitalisierung, Digitalisierung und nochmal Digitalisierung.“ Attraktivität für die unbesetzten Stellen könne dadurch erreicht werden, wenn die Arbeit vielseitig sei und moderne Technologien zum Einsatz kämen. Fakt ist auch: Durch Digitalisierung können zudem auch mit weniger Personal bessere Ergebnisse erzielt werden. Ungan verweist hier auf konkret auf ein Beispiel: „Bisheriges Wartungspersonal ist rund um die Uhr damit beschäftigt, die Messungen an den produzierenden Maschinen durchzuführen und die regulären Wartungsaufgaben zu planen. Unterbrochen werden diese Aufgaben durch unerwartete Stillstände in der Produktion durch Ausfälle von Komponenten.“ Mit modernen Condition Monitoring- oder Predictive Maintenance-Lösungen könnten kontinuierlich Messwerte erhoben und Analysen am PC im Büro erfolgen. „Eine bedarfsgerechte Wartung kann so ohne Überraschungen geplant werden. Der Mitarbeiter kann sich einen Bürotag einplanen oder sogar vom Home-Office arbeiten.“
Lukas Morys von Sacble sieht noch ein anderes Licht am Ende des Tunnels: „Ich glaube, viele Fabriken müssen hier einiges aufholen. Wir sprechen schon länger über New Work, was das moderne Arbeiten beschreibt. Interessant, dass viele dieser Prinzipien allerdings in der Instandhaltung und Produktion nicht angewandt werden können.“ Aus diesem Grund haben Co-Host Dr. Tobias Heinen und er in ihrem ‚Podcast Factory21’ den Begriff ‚New Production’ geprägt. „Also moderne Arbeitsformen, die auch für die Produktion anwendbar sind. Dazu zählen Elemente wie Mitarbeitereinbindung, moderne Strukturen und moderne Führung. Ich bin überzeugt, dass eine gute Kultur, insbesondere die Führungskultur, für Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels von enormer Bedeutung sind.“
Automatisierung bedingt Umorientierung
Die Digitalisierung der Industrie und eine Veränderung der Führungs- und Jobkultur könnten also ein Weg aus dem Dilemma sein – beides ist aber von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Der Inspektionsroboter ANYmal von ANYbotics vereint hierbei viele Aspekte, die etwa für ein modernes Berufsbild ‚Technische Servicekraft Wartung & Instandhaltung’ relevant sein dürften. „Wir haben die damit verbundene ‚Beförderung’ schon bei vielen Kunden mitverfolgt“, so Tilman Eberle von ANYbotics. Die derzeitige Generation des ANYbotics-Roboters ist auf Inspektion von industriellen Anlagen spezialisiert, vor allem in den Bereichen Chemie, Metall und Energie. Am besten genutzt wird der Roboter dort, wo es gefährlich oder unangenehm für Personal ist oder wo es schwierig ist hinzukommen. Der Roboter macht nach einer initialen Konfiguration repetitive Inspektionsrunden und kontrolliert damit den Zustand der industriellen Anlage. Basierend auf den präzisen und regelmäßigen Daten können Wartungsarbeiten frühzeitig geplant oder auch hinausgeschoben werden. „In Zukunft soll der Roboter auch einfache Aufgaben direkt selbst vornehmen können“, so Eberle. Heute schon erledigt der ANYmal auf seinen Rundgängen Aufgaben wie Inspektion von Anlagen und Maschinen (visuell), Früherkennung von Anomalien (thermografisch) und Lecks (gassensorisch) sowie Erfassung und Aktualisierung des 3D Modells (Digital Twin) der Anlage. Doch ANYmal ist (noch) nicht das Ende der Fahnenstange.
Roboter ANYmal macht nach einer initialen Konfiguration repetitive Inspektionsrunden und kontrolliert damit den Zustand der industriellen Anlage. Basierend auf den präzisen und regelmäßigen Daten können Wartungsarbeiten frühzeitig geplant oder auch hinausgeschoben werden.
Eine Technologie wie ANYmal verbessert primär die Abläufe einer Anlage, was zu weniger Abschaltungen, aufwendigen Reparaturarbeiten, und Umweltschäden führt. Gleichzeitig verbessert sie die Sicherheit der Mitarbeiter, die sich vermehrt anspruchsvolleren Aufgaben widmen können.
Darf man Studien für die USA glauben, arbeiten dort fast die Hälfte der Beschäftigten zurzeit in Berufen, die in den nächsten 10, 20 Jahren automatisierbar sind. Die Arbeitswelt wird sich sicherlich stärker verändern als man es bisher kannte. Bereiche, die stärker automatisierbar sind, könnten dazu führen, dass diese Berufsgruppen sich umorientieren, dazu Tolgay Ungan, CEO and Founder der endiio Engineering: „Eine Massenarbeitslosigkeit werden wir aber nicht erleben, viel mehr eine Arbeitskultur, die Flexibilität fordert aber auch mehr Freizeit ermöglicht.“ Service Engineering-Experte Brumby argumentiert ähnlich: „Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen ‚grundsätzlich automatisierbar’ und ‚wirtschaftlich automatisierbar’.“ Nicht alles, was technisch möglich sei, sei auch wirtschaftlich sinnvoll. “Daher bezweifle ich, dass wir wirklich eine so hohe Automatisierung erleben werden. Ich glaube eher, dass wir unsere Arbeitszeit-Modelle überdenken werden und mehr und mehr 4-Tage-Wochen und befristete Sabbaticals in unserer Arbeitswelt sehen werden.”