Zero Contact: Wie funktioniert Service ohne Zugang?
Durch Corona wird der Trend zur Fernwartung zusätzlich befeuert. Damit möglichst wenig Kontakt vor Ort nötig ist, braucht es aber mehr Digitalisierung in der Instandhaltung: Dazu gehören remote Wartungs-Apps oder die Anleitung mittels Augmented Reality-Datenbrillen. Doch auch eine organisatorische Neubewertung der Instandhaltung ist wichtig.
Die Studie „Smart Maintenance – Der Weg vom Status quo zur Zielvision“ von acatech und Fraunhofer IML zeigt, dass viele Unternehmen der Instandhaltungsorganisation nach wie vor eine zu niedrige Priorität einräumen. Ansätze wie TPM (Total Productive Maintenance) zielen darauf ab, die Mitarbeiter an Maschinen und Anlagen so zu qualifizieren, dass sie viele Wartungs- oder Reinigungstätigkeiten selbst übernehmen und sogar Kurzstillstände beheben können. Unternehmen, die sich in den letzten Jahren bereits in diese Richtung entwickelt haben, konnten in der Krise oft einen deutlichen Heimvorteil für sich verbuchen. Doch auch neue Technologien ermöglichen eine erheblich bessere Unterstützung der Mitarbeiter vor Ort, wenn gerade kein Experte da sein kann.
Wartung Automotive
Mit Fernwartung lässt sich viel erreichen
Fernwartung ist in der Praxis bereits Alltag, viele Spezialisten bieten zudem mittlerweile Konzepte für Datenschutz und Datensicherheit bei der Übertragung zwischen Werk und Maschinenhersteller oder Wartungsdienstleister. „Sämtliche Maschinen, die mit den passenden Sensoren ausgestattet sind, ermöglichen grundsätzlich eine ‚Fernüberwachung‘ – auch wenn es hier nicht selten Diskussionen um den externen Zugriff auf diese Daten gibt“, erklärt Matthias Müller, ROBUR Partner und Geschäftsführer des Tochterunternehmens FLUIDSERV GmbH aus Ludwigshafen. Laufen im Rahmen der Anomalie-Erkennung Sensorparameter aus dem Ruder, lassen sich so oft frühzeitig größere Schäden verhindern.
Mathias Müller
ROBUR Partner und Geschäftsführer des Tochterunternehmens FLUIDSERV GmbH
Thomas Weimar
Senior Manager Digital Assetmanagement bei BTC Business Technology Consulting AG
Vor allem aber hilft eine direkte Unterstützung der Werker vor Ort. „Wenn möglichst wenig externe Dienstleister ins Werk kommen sollen, dann müssen die Mitarbeiter vor Ort in die Lage versetzt werden, Reparaturmaßnahmen selbst zu beurteilen und einzuleiten. Hier sind Datenbrillen sehr sinnvoll, weil sich über diesen Weg der remote Technik-Service umsetzen lässt“, sagt Thomas Weimar, Senior Manager Digital Assetmanagement bei BTC Business Technology Consulting AG. AR/VR (Augmented und Virtual Reality) und andere digitale Lösungen helfen, interne Instandhaltungsmitarbeiter zu befähigen, bestätigt auch Müller: „Dazu braucht es im Notfall nicht einmal besonders ausgereifte Techniken, da reicht ein Smartphone“. Doch nicht alles, was technisch möglich ist, lasse sich operativ auch umsetzen – entweder aus Kostengründen, aus Gründen der Arbeitssicherheit oder aber auch der Gebäudebegebenheiten. Das gilt insbesondere für den Bereich der kritischen Infrastruktur, in dem Robur viel unterwegs ist.
AR-Technologie funktioniert und ist erschwinglich
Augmented Reality, also die Anreicherung der Realität mit weiteren, prozessrelevanten Informationen, dürfte sich zu einem der wichtigsten Tools für moderne Maintenance mausern. Per App und Datenbrille kann ein Techniker im Unternehmen während der Reparaturvorgänge direkt Hilfe vom externen Experten bekommen, der in einem Videostream das sieht, was auch der Mensch vor Ort gerade durch seine Brille anschaut. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Anbietern, deren Produkte sich für die Industrie eignen, darunter RealWare , Microsoft HoloLens, Google Glass, Magic Leap oder Oculos. Der Bereich Virtual Reality ist in der Regel dem Bereich Schulung vorbehalten. Hier können Mitarbeiter virtuell beispielsweise schwierige Abläufe „üben“, um dann in der Praxis gut vorbereitet zu sein.
„Assistenzsysteme wie Datenbrillen lohnen sich auch immer dort, wo das Risiko für den Menschen besonders hoch ist“, erklärt Weimar. Ein typisches Beispiel ist die Wartung von Windkraftanlagen, wo eine AR-Brille die Prozesse vereinfachen kann, weil beide Hände frei sind. Neben der Hardware spielt vor allem die passende Software für solche Wartungsaufgaben eine wichtige Rolle. Insbesondere KMU, die weniger Ressourcen mitbringen, profitieren hier von Low Code-Plattformen wie zum Beispiel Microsoft Power oder Simplifier im SAP-Kontext. „Mit Low Code Tools lassen sich relativ schnell individuelle Wartungs-Apps umsetzen, auch für Datenbrillen oder Smartphones“, erklärt Thomas Weimar. Auch die BTC-App Remote Experte basiert auf einer Low Code Platform, die unterschiedliche Geräte von Smart Watch oder Brille bis zum Tablet unterstützt und mit Sprachsteuerung arbeitet, damit der Techniker oder Werksmitarbeiter zwischendrin nicht tippen muss.
Automatisierte Inspektion per Drohne
„Ein Maschinenhersteller könnte so seinen Kunden bei einer Spontaninbetriebnahme nach einem Ausfall helfen. Das Konzept eignet sich aber auch für Privatkunden, die so bei der Problemlösung mit ihrer Heizungsanlage unterstützt werden können“, beschreibt Weimar mögliche Einsatzszenarien. Insgesamt sind zudem die Möglichkeiten automatisierter Instandhaltung in den letzten Jahren erheblich größer geworden. BTC bietet seinen Kunden zum Beispiel an, Inspektionsflüge mit Drohnen zu machen, unter anderem um Leitungsnetze von Energieanbietern zu überwachen. Die Bild- und Videoaufnahmen werden dann mit KI-Anwendungen ausgewertet.
In vielen Bereichen gilt jedoch: Ohne einen Servicetechniker vor Ort ist eine wirkliche Fernwartung bei Maschinen jedoch nicht möglich, sieht man vom seltenen Robotikeinsatz ab, meint man bei ROBUR. Auch gibt es viele Situationen, in denen es eines Spezialisten bedarf. „Letztlich kommt es daher bei der Wartung von Maschinen immer, auch in Corona-Zeiten, auf ein intelligentes, effizientes und ergebnisorientiertes Zusammenspiel von inhouse und externen Technikerinnen und Technikern an“, stellt Müller fest.
Sicherheitsinfrastruktur für AR-Unterstützung anpassen
Es gibt noch eine weitere Herausforderung: AR/VR-Lösungen, die dem externen Techniker den Blick von außen in die Begebenheiten vor Ort ermöglichen, erfordern aktuell noch eine hohe Bandbreite mit Kontakt nach außen, außerhalb des Firmennetzes. Nicht nur die immer noch schlechte Netzabdeckung ist dafür hinderlich. Kurzfristige Lösungen lohnen sich hier kaum, meint Matthias Müller. Denn um ein hohes Maß an Fernwartung, unterstützt durch Apps und Datenbrillen, umzusetzen, muss auch die IT-Infrastruktur angepasst werden. „Oft lassen die Infrastruktur und die Sicherheitseinstellungen im Produktionsumfeld gar nicht zu, dass Daten nach außen gesendet werden“, so Müller. Hinzu komme, dass für die Apps und Datenbrillen ebenfalls Wartungs- und Update-Konzepte nötig sind: Dafür müsse dann in der Regel das ganze Jahr gezahlt werden, auch wenn es vielleicht nur um ein paar Monate geht, in denen Externe nicht in die Gebäude sollen. „Bei der Praxisumsetzung hapert es hier noch, da ist ein vernünftiges Hygienekonzept oft einfacher“, stellt Müller fest.
Dort, wo ein Mehr an remoter Wartung möglich ist, lohnen sich also eher langfristige Konzepte. Sie sollten dann auch die Themen intelligente und vorausschauende Wartung umfassen – denn so lassen sich viele Ausfälle und Reparaturen verhindern. Zwar seien viele Unternehmen noch nicht so weit, beim Thema Predictive Maintenance tiefer einzusteigen, BTC-Experte Weimar ist sich jedoch sicher: „Vorausschauende Instandhaltung hat einen Wert und ist die Zukunft, gerade im Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Chemie mit ihren vielen gesetzlichen Vorgaben rund um Instandhaltung“. Dafür müssen Unternehmen jedoch mehr Sensorik einsetzen und Vergangenheitsdaten gezielt sammeln.